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In den letzten Wochen haben sich die Turbulenzen in den innerjemenitischen Konflikten weiter verschärft. Die Leiden der Zivilbevölkerung konnten trotz der endlich das Land erreichenden Hilfslieferungen kaum gemildert werden.

Saudiarabien hat die der UNO für erste Hilfsmassnahmen zugesagten USD 245 mio immer noch nicht eingezahlt und blockiert zudem die Auslieferung von Hilfsgütern unter dem Vorwand, es könnten Waffen für die Houthi aus dem Iran eingeschmuggelt werden. Dadurch werden diese Lieferungen nicht nur verzögert, sondern auch umgeleitet. Die meisten Hilfsgüter werden zur Kontrolle nach Djibouti gebracht, wo eine Menge beiseite geschafft wird und auf Schwarzmärkten in Afrika landet. Alle im Jemen ankommenden Hilfsgüter kommen über den Hafen Hodeidah im Roten Meer an Land, der von den Houthis kontrolliert wird.

Während die Bevölkerung um den 25. Juni stöhnte, weil es nicht nur kein Benzin für den Verkehr gab, sondern auch kein Diesel für Wasserpumpen, keinen Strom aus Dieselkraftwerken, und zuletzt auch der Internetverkehr mangels Energie lahmgelegt wurde, tauchten Belege auf, dass schon seit Mitte Juni täglich genügend Treibstoff für den gesamten Jemen gelöscht worden sei. Die Houthis haben sämtliches Benzin und Diesel beschlagnahmt, primär, um ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, aber in zweiter Linie, um einen gigantischen Schwarzmarkt aufzuziehen, an dem auch Saleh verdienen soll. Ein Liter Benzin kostete auf dem Schwarzmarkt bis zu 7,50 USD (Normalpreis 75 cent). An Tankstellen gab es gewalttätige Auseinandersetzungen wegen der Bevorzugung der Houthis, die sich als Kämpfer gegen die Korruption ausgeben, bei der Benzinabgabe.

Die Entsolidarisierung der Bevölkerung schreitet in der Not rapide voran. In Aden ist bisher keine einzige Hilfslieferung eingetroffen, jedoch werden Grundnahrungsmittel überteuert (um bis zu 400 %) am Schwarzmarkt angeboten, deren Herkunft als Hilfsgut an der Etikettierung ablesbar ist. Die saudische Luftallianz bombardiert mit Hilfsgütern beladenen Lastwagen, die in Richtung Saada unterwegs sind, weil sie jegliche humanitäre Hilfe an die Houthis verhindern will.

Die UNO, insbesondere der UNO-Gesandte Ismail Ould Scheich Ahmed kündigen zwar immer wieder einen Waffenstillstand noch vor dem Ende des Ramadhan (18. Juli) an, doch die Gewalt nimmt unterdessen zu. Die Attacken der saudischen Allianz der Luftstreitkräfte haben eine neue Dimension erreicht und verfolgen eine neue Zielrichtung. Die Bombenangriffe wurden insbesondere in Sanaa, in Taizz und Aden intensiviert. Neben den bekannten Zielen – Militäranlagen und Waffenarsenalen – werden nunmehr vermehrt zivile Anlagen angegriffen. Dazu gehören die Parteizentralen der Houthi/Ansar Allah und des Moutamar (allgemeiner Volkskongress, Partei von Ali Abdullah Saleh und von Abdrubba Mansur Hadi), öffentliche Einrichtungen sowie Residenzen von wichtigen politischen Repräsentanten dieser Parteien (u.a. auch das Domizil von Präsident Abdrubbah Mansur Hadi), sowie Orte, wo sich möglichst viele Zivilpersonen aufhalten, wie Märkte oder Einkaufszentren.

An einem einzigen Tag, am 6. Juli, wurden 176 Menschen bei den Bombenangriffen getötet und hunderte verletzt – und zum ersten Mal wird in der Berichterstattung nicht mehr zwischen Zivilisten (Kollateralschäden) und Kriegführenden unterschieden. Das bedeutet wohl auch, das die Zivilbevölkerung in Zukunft nicht mehr unter unbeabsichtigte Kollateralschäden fällt, sondern Zivilisten numehr Zielobjekte sind, deren Tod nicht mehr wegen “Zielungenauigkeit” argumentiert werden muss. Die saudische Kriegsführung hat mit der Ausdehnung der Bombenangriffe auf die Zivilbevölkerung eine weitere Eskalation in Richtung Bürgerkrieg gesetzt. Getötet und verletzt wurden an diesem Tag Menschen, darunter viele Kinder auf einem Viehmarkt einer Ortschaft in Lahij im Süden des Landes, auf einem Markt in Hajja im Nordwesten und dutzende Personen in der Stadt Amran, die auf einem Markt für das abendliche Fastenbrechen einkauften. Die internationale Gemeinschaft, beschäftigt mit Grexit und Iran-Verhandlungen, nimmt die steigende Gewalt gegen die Zivilbevölkerung im Jemen bisher nicht zur Kenntnis, geschweige denn zum Anlass für Interventionen.

Die Angriffe der Saudi-Allianz auf die Partei-Infrastruktur der Houthis und des Moutamar folgt der vorausgegangenen Zerstörung der Parteiinfrastruktur der Islah-Partei durch die Houthis und ist offensichtlich Teil einer Strategie, die demokratischen Insititutionen und Strukturen des Jemen nachhaltig zu vernichten. Als die Houthis in Sanaa einmarschierten und ihren Eroberungszug nach Süden begannen, war vorrangiges Ziel die Vernichtung des politischen Gegners, vor allem der Islahpartei sowie der Salafisten. Die Houthis zerstörten nicht nur die lokalen und Provinzbüros der Islah durch Beschuss mit Mörsergranaten und Panzergeschützen, sondern sie verschleppten auch tausende Parteiführer und zerstörten und verwüsteten deren private Häuser. Die Zahl ihrer Gefangenen wird auf etwa 6.000 geschätzt, neben Repräsentanten der Islah sind auch Vertreter anderer Parteien, der Streitkräfte, öffentlicher Einrichtungen darunter, sowie kritische Journalisten, Reporter, Blogger und andere Personen, welche die Houthis kritisieren. Zuletzt drohten sie, jeden, der die Sache der Saudis vertritt, zu verfolgen und zu bestrafen.

Wenn die saudische Luftallianz nun die Parteistrukturen der Houthis und Salehs zerstört, so trägt sie entscheidend dazu bei, dass die wichtigsten politischen Parteien – die etwa 60 % der Bevölkerung repräsentieren – mehr oder weniger eliminiert werden und keine demokratische Struktur, keine Volksvertretung für den Wiederaufbau des Staates mehr vorhanden ist. Daraus ist zu schliessen, dass sowohl Houthis wie auch Saleh und die saudische Allianz eine autoritäre Nachkriegsordnung im Jemen anstreben.

Verschont von den wechselseitigen Vernichtungsstrategien blieben bisher nur die Südbewegung, die aber nach wie vor uneinig ist (wobei sicher nachgeholfen wird), die sozialistische Partei und einige kleinere Parteien.

Unterdessen brechen die politische Allianzen der Kriegsgegner auf und es zeichnen sich Differenzen innerhalb der Konfliktparteien Hadi/Saudi und Houthi/Saleh auf.

Es begann damit, dass die Houthis zwei militärische Führer aus dem Kontingent Salehs absetzten und durch eigene Leute ersetzten. Nicht gesicherte Quellen berichten, dass Saleh daraufhin 5.000 Mann der Republikanischen Garde aus Aden abzog. Bei Verhandlungen mit ausländischen Gesprächspartnern (Russland, Oman, Iran) gehen Saleh und die Houthis ohnehin getrennte Wege.

Saleh ist international zusätzlich beschädigt, seitdem seine „Intimkontakte“ zur alQaida seit den 1990er Jahren (die im Jemen immer schon bekannt waren) durch einen alQaida-Whistleblower international veröffentlicht wurden. Ammar Saleh, Neffe von Ali Abdullah Saleh, und Vizepräsident der von den USA mitbegründeten jemenitischen NSA, fungierte als Verbindungsoffizier zur Saleh-loyalen alQaida-Gruppe und war sozusagen Supervisor des alQaida-Attentats auf die US-Botschaft in Sanaa 2008.

Auch zwischen Exilpräsident Abdrubbah Mansur Hadi und seinem Patron Saudiarabien gibt es zunehmend Spannungen. Während Hadi nun schon zum zweiten Mal in kürzester Zeit – doch viel zu spät – UN-Generalsekretär Ban ki-Moon um Vermittlung und um Hilfe für das jemenitische Volk gebeten hat, verstärkt Saudiarabien täglich seine Bombeneinsätze. Hadi stützt sich im Exil, wie schon zu Regierungszeiten in Sanaa, auf seinen Sohn Jamal und auf seinen Kanzleichef Ahmed Aswad bin Mubarak. Zwischen Jamal Hadi und dem Bruder von Ahmed bin Mubarak soll es in letzter Zeit zu gröberen Reibereien gekommen sein, die zum Exodus dieses Bruders nach Jeddah geführt haben. Ministerpräsident Khaled Bahah steht offiziell zwar loyal zu Hadi, hält jedoch Distanz zu den Saudis.

Das Auseinanderdriften von Allianzen, die Erosion der Strukturen und die Verelendung der Bevölkerung geben Anlass zu Befürchtungen für die Zukunft. Es mehren sich die Annahmen, dass ein einheitliches Land Jemen, das in den bisherigen Grenzen ohnehin erst seit 1990 besteht, nicht haltbar sein wird und es zu einer Aufteilung in mindestens zwei, müglicherweise bis zu vier unabhängige Staaten kommen wird.

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