Interview mit Annelies Glander

Über den Krieg im Jemen haben wir auf dem Blog bereits berichtet, auch darüber, dass der Jemen über seine kurzen 15 Minuten Ruhm nach dem Film „Lachsfischen im Jemen“ nicht hinaus kam. Es ist ein Land, das seit Jahrhunderten mehr oder weniger ignoriert wird, neben den größeren (und meist aggressiveren) Nachbarn scheint es nicht wichtig, nicht erwähnenswert genug.

Die Wiener Sozial-Anthropologin und Linguistin Dr. Annelies Glander hat diesen Fehler nicht gemacht und hat sich schon während ihres Studiums in den Jemen und seine Menschen verliebt. 2014 gründete sie die Organisation Felix Arabia International und versucht seither, das ärmste der arabischen Länder mit Projekten, die aus Spendengeldern aus Österreich finanziert werden, zu unterstützen.

Ich habe mit ihr über die Faszination Jemen, den Krieg und ihre NGO gesprochen.

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Frau Dr. Glander, könnten Sie uns mehr über die NGO Felix Arabia International und deren Entstehung erzählen?

Wie schon der Untertitel dieser NGO “Helping Hands for Yemen“ aussagt, ging und geht es vornehmlich um Hilfe für Kinder – und für deren Mütter. Als“social anthropologist“ versuche ich seit Jahren vergeblich, an spendenfreudige Menschen zu appellieren, nicht irgendwelchen Organisationen Geld zu überlassen, ohne zu wissen oder zu erfahren, was genau mit dem Geld geschieht. Zu viele Spenden landen in den Taschen von Organisationsmitarbeitern oder werden sinnlos für Projekte vergeudet, die zu nichts führen. Besonders ärgerlich sind die Riesenspenden an Regierungen, die nie zu den bedürftigen Bürgern kommen.

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Wie kamen Sie persönlich zu der NGO und Ihrer engen Beziehung zum Jemen?

Zum Jemen kam ich als Linguistin auf der Suche nach einem Land, in dem mit Ausländern noch Arabisch gesprochen wird, wurde fündig und hab mich schon bei meinem ersten Aufenthalt in das Land verliebt und seine Menschen offiziell und privat kennen und schätzen gelernt, auch weil sie „anders“ sind als alle anderen Araber, die ich kennenlerne. Die NGO habe ich erst 2014 gegründet, als ich meine jahrelange intensive Zusammenarbeit mit der österreichisch-jemenitischen Gesellschaft infolge finanzieller Unregelmäßigkeiten und höchst unerfreulicher persönlicher Animositäten beenden musste.

Inwieweit hat der Krieg Ihre Aktivitäten im Jemen eingeschränkt? Sind Projekte von FAI direkt vom Krieg betroffen?

Da es unmöglich wurde, nach Kriegsausbruch wie sonst immer in regelmäßigen Abständen nach Jemen zu reisen, mussten wir unsere Aktivitäten auf digitalen Informationsaustausch und die Überweisung von Spenden beschränken. Ich konnte die von YERO betreuten Kinder nicht mehr besuchen. Wir konnten nur möglichst viel Geld senden, um den Erwerb von sauberem Wasser und von Nahrungsmitteln und auch Medikamenten am Schwarzmarkt zu ermöglichen. Ich war und bin aber mit allen Freunden per E-Mail und auch Telefon in ständiger Verbindung.

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Der Schwerpunkt Ihrer NGO liegt auf der Hilfe von Frauen und Kindern. In einem Interview, das ich vor einigen Wochen mit Nadia al-Sakkaf, der früheren Informationsministerin des Jemens führte, haben wir gehört, dass es vor dem Krieg durchaus feministische Fortschritte im Land gab, wie beurteilen Sie diese und glauben Sie, dass die Entwicklung vom Krieg langfristig behindert wurde?

Nadia al-Sakkaf ist eine meiner besten Freundinnen, ich war schon vor ihrer Geburt mit ihrer Familie verbunden. Ich glaube, sagen zu dürfen, dass wir beide überzeugt sind, dass die Fortschritte der jemenitischen Frauen nach Kriegsende in vollen Umfang wieder aufgenommen und weiter betrieben werden, dies dann in immer größerem Ausmaß auch öffentlich. Gibt es doch zahllose Beispiele, was Frauen im Jemen immer schon zustande gebracht (und auch geleitet und bestimmt) haben, aber klug hinter den Kulissen die Fäden zogen ….

Eines Ihrer Projekte ist das Al-Wiam-Familienhaus in Sana’a, ein Haus für missbrauchte Frauen und ehemalige Gefängnisinsassinnen. Sie unterstützen die Frauen auch beim Dialog mit den Familien, wie oft ist das erfolgreich und wie oft werden misshandelte Frauen immer noch von der Familie stigmatisiert, wenn sie ihre Männer verlassen haben?

Auch unser Engagement für das „Frauenhaus“ verdanken wir Nadia al-Sakkaf, die mich als Vorstandsvorsitzende dieser Einrichtung vor einigen Jahren in das sehr gut getarnte Haus mitnahm. Auch in diesem Fall können wir zurzeit nur mit Geldspenden helfen, sind aber auch mit der Geschäftsleitung in Verbindung – konnten z. B: für die Bereitstellung von Milch sorgen, da die Mütter neugeborener Kinder zu schwach zum Stillen waren. Die Frauen in diesem Haus können Lesen und Schreiben lernen und/oder sich als Bäckerin, Friseurin oder Schneiderin ausbilden lassen. Außerdem steht eine Juristin zur Verfügung, die entweder Scheidungen durchsetzt oder Familienzusammenführungen schafft, also Frauen die Rückkehr zur Familie ermöglicht. Da die Frauen nach Abschluss der Ausbildung vom Frauenhaus auch Jobs vermittelt bekommen, genügt oft allein diese Tatsache, dass die Familie diese Frauen unbedingt wieder zurück haben wollen.

Welchen Stellenwert hat die Polygamie im Jemen und führt der Krieg Ihrer Meinung nach zu einer Zunahme von Zweit- und Drittehen?

Soweit ich miterleben konnte, sind die Fälle von Polygamie doch eher selten, dies vor allem aus wirtschaftlichen Gründen, denn ein Mann muss ja alle seine Frauen gleich behandeln, also gleich versorgen. Darüber wachen alle Frauen gemeinsam. Bekannt sind auch Fälle, wo solche Zweitehen fast nach dem Muster unserer Patchwork-Familien funktionieren, sich alle, auch die Kinder, gut vertragen und eigentlich miteinander leben. Mir wurde auch anvertraut, dass manche Frauen die sexuellen Ansprüche des Mannes nicht alleine erfüllen wollen oder einfach nicht können und gerne Ersatz in Anspruch nehmen.

Haben Sie das Gefühl, dass das Bewusstsein der Frauen für den eigenen Selbstwert steigt, oder wird immer noch von manchen Jemeniten (auch Frauen) Gewalt in der Ehe als „normal“ empfunden?

Gewalt Frauen gegenüber, wird nirgends als „normal“ angesehen, kommt aber leider überall vor. Ich habe bei Studien – auch in Österreich – immer wieder feststellen müssen, was Männer sich erlauben und wie sie vor allem Töchter behandeln – nur wird das in unseren Ländern nicht publik gemacht.

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FAI unterstützt auch ein medizinisches Programm, das eine Art Ärztetausch zwischen österreichischen und jemenitischen Ärzten unterstützt. Können Sie uns mehr darüber erzählen?

Auch dieses Programm hat mit Ausbruch des Krieges eine plötzliche totale Unterbrechung erfahren. Es gab aber schon viele Jahre zuvor gezielte Hilfsprojekte, bei denen österreichische Ärzte als Team im Jemen Operationen durchführten und junge jemenitische Ärzte an österreichischen Spitälern ein Praktikum bzw. eine Fachausbildung machen konnten.

Der Jemen wird oft als „letztes echtes arabisches Land“ bezeichnet, das seine jahrhundertealten Traditionen trotz wiederholter türkischer Besetzung beibehielt und „authentisch“ blieb. Gleichzeitig war der Jemen auch vor dem Krieg bereits das ärmste arabische Land und scheint ständig an der Peripherie der globalen Wahrnehmung zu bleiben. Wie schätzen Sie die Situation nach Ende des Krieges ein?

Es wird wohl sehr lange dauern, bis der Jemen wieder wirklich zur Ruhe und zu einem Neuanfang kommt, sofern es überhaupt zu einem Ende des Stellvertreterkrieges zwischen Saudi Arabien und Iran kommt. Besonders Saudi Arabien war immer schon dagegen, in einem angrenzenden Land eine demokratische Republik „zu dulden“. Vielleicht sehen die Parteien aber jetzt doch bald ein, dass dieser Krieg nicht gewonnen werden kann und Jemen nicht zu besiegen ist (wie ja die Geschichte gezeigt hat). Sicher ist aber auch die Tatsache, dass international viel zu wenig Information zu Jemen geboten wird – ja auch unserer Medien nie dazu etwas berichten, ein Grund für die erschreckende Armut des Landes. Außer unseren karitativen Aktivitäten bemüht sich die FAI deshalb auch, unseren Mitgliedern und Sponsoren so viel Informationen wie nur möglich zu Jemen zu bieten.

Auf der Website der FAI wird der alte jemenitische Mythos zitiert:  Als der liebe Gott auf der Erde Reichtum und Ressourcen verteilte, vergaß er völlig auf den Jemen. Als ihm dies zur Kenntnis gebracht wurde, überlegte er lange und traf dann folgende Entscheidung: „ Eure Gabe wird ein heller Verstand und Erfindungsreichtum sein und Ihr werdet daraus großen Nutzen ziehen“. – Wann wird Ihrer Meinung nach der Jemen so weit sein, aus seinen großen Fähigkeiten endlich auch Nutzen ziehen zu können?

Allein die Tatsache, wie „die Jemeniten“ mit den Schwierigkeiten und Entbehrungen in unglaublicher Solidarität und Erfindungsgabe zurande kommen, sollte viele an diesen Mythos erinnern … Der Nutzen, den sie daraus ziehen, ist gegenwärtig wohl sehr gering, würde sich aber einstellen, wenn es nach Kriegsende gelingt, Obama und Putin (oder deren Nachfolger) davon abzubringen, sich in die Zukunft Jemens glauben einmischen zu müssen …

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Sie können sich bei Felix Arabia International durch den monatlichen Newsletter (für den übrigens Barbara Wally schreibt) über die Entwicklungen im Jemen auf dem Laufenden halten oder Mitglied des Vereins werden und die Projekte so auch finanziell unterstützen.

Über das YERO-Straßenkinder-Projekt werden wir am Donnerstag in einem Interview mit Nouria Nagi noch mehr erfahren.

Quelle: http://blog24-7.sex-mit-sartre.de/2016/08/01/interview-dr-annelies-glander/ 

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