Newsletter 33

Heute einmal eine positive Nachricht zu einer Entwicklung im Jemen, wo überall sonst der entsetzliche Krieg weitergeht:

‘Marib Model’

Im Lauf einiger Jahre entwickelte die lokale Regierung in Marib mit Hilfe allgemein  respektierter und fähiger Politiker ihr eigene Strategie zur Sicherheit und Stabilität der Bevölkerung dieser Provinz auf der Basis nationaler Dezentralisierung, die zu einem beispiellosen Ausmaß an Autonomie und finanzieller Unabhängigkeit führte. Dies ermöglichte die Entwicklung schlagkräftiger und rechenschaftspflichtiger Sicherheitskräfte, Vertrauensbildung in der Gemeinschaft und gemeinsam abgestimmter Entscheidungsfindung sowie finanzieller Investitionen in die örtliche Wirtschaft. Sozioökonomische Missstände – einschließlich Armut, Isolation und Arbeitslosigkeit – waren zuvor erfolgreich von AQAP[1] für ihre Zwangsrekrutierung ausgenützt worden. Das Marib Model hatte umfangreiche Folgewirkungen, förderte wirtschaftliches Wachstum, schuf Arbeitsplätze und Ausbildungsmöglichkeiten. 

Die lokale Strategie zeigte nicht vor 2015 Erfolge. 2012 wurde Scheich Sultan al-Aradah von Jemens Übergangspräsident Abd-Rabbu Mansour Hadi zum Landeshauptmann von Marib bestellt. Seine angeborene Verbundenheit mit dem stammesbedingten System, seine Erfahrung mit der Beilegung von Stammeskonflikten, seine Kenntnis  militärischer Fähigkeiten, sein Engagement für die Provinz – die er bei der Befreiung von den Houthis 2015 beweisen konnte – verliehen ihm lokale Legitimität, wurden zum „Rückgrat“ für die erfolgreiche Entwicklung. Im Gegensatz zu anderen führenden Politikern lebt al-Aradah in der Gemeinschaft, für die er zuständig ist, wurde in die Langzeitentwicklung eingebunden, nützt das „bestehende stammesorientierte System“ aus statt die Schaffung eines neuen politischen Ökosystems anzustreben.  Das Vertrauen der Bevölkerung zu den Sicherheitskräften und in die Provinzregierung nahm zu, die Kriminalitätsrate sank um 70 %.  

2015 nützte er Maribs neue Autonomie dank des vom Yemen National Council geschaffenen dezentralisierten Systems, um 20 % der Einnahmen aus Öl- und Gasförderungen als nachhaltiges Einkommen einzubehalten. Dies versetzte Marib in die Lage, Dienstleistungen der Regierung auszubauen, allen Beamten Monatsgehälter auszuzahlen und die als Sicherheitskräfte geeignetsten entsprechend auszubilden und zu trainieren. Die Möglichkeit, die Beamtengehälter monatlich auszubezahlen, glich einem wirklichen Kunststück.  Von 2016 bis 2018 war die Ausbezahlung monatlicher Gehälter an Beamte fast unbekannt, die meisten erhielten zwei Jahre lang überhaupt nichts. Auch dieses Jahr kämpft die nationale Regierung mit größten Schwierigkeiten, ihre Beamten zu entlohnen.       

Marib haben diese neu gewonnenen Einkünfte ermöglicht, sich noch anderen Unzulänglichkeiten anzunehmen wie Armut, Arbeitslosigkeit, einer schwachen Infrastruktur und dem Fehlen öffentlicher Dienstleistungen. Die Zunahme neuer und größerer Bezirke und die Inangriffnahme wichtiger (und weniger wichtiger) Infrastrukturprojekte – eines Spitals, eines FIFA Fußballplatzes und einer Universität für 500 Studenten – fand in ansteigender nachhaltiger Beschäftigung ihren Niederschlag, schuf außerdem Ausbildungsmöglichkeiten im Sozialbereich auch für Frauen, was eine Beilegung lokaler Missstände mit sich brachte.      

In mit Einheimischen geführten Interviews äußerten sich die Befragten überzeugt, sich jetzt in dieser Provinz sicher zu fühlen. Die Bevölkerung war von 40.000 noch vor einigen Jahren auf 2 Millionen angewachsen, Binnenflüchtlinge[2] hatten in Marib Zuflucht gesucht, nicht vor AQAP sondern vor dem Bürgerkrieg. Diese neu Zugereisten brachten neue Ressourcen, Fähigkeiten und Kultur, gründeten Geschäfte in dem rasch expandierenden Straßennetz, was auch wieder zu einer Steigerung der Arbeitsplätze und einer beachtlichen Förderung der Wirtschaft führte. Der Zustrom aus liberaleren Gegenden des Landes, wie Aden und Sana´a wirkte sich auch auf die Gendernormen aus, die Frauen jedes Alters betrafen: von Mädchen im Teenagealter bis zu Großmüttern, die sich im Park treffen. Zum ersten Mal arbeiten Frauen, sogar native Maribis außer Haus, bemühen sich um höhere Bildung.     

Schlussfolgerung

Die von der Bevölkerung zu Beginn des Jahrtausends empfundenen ärgsten Missstände betrafen das Fehlen einer Führungsstruktur, von Stabilität, Sicherheit und finanziellen Möglichkeiten. Eine verlässliche Führerschaft, landesweite Unterstützung und Vertrauen, einvernehmliche Politikgestaltung und ein nachhaltiges Einnahmensystem brachten eine lokal ausgerichtete Strategie zustande. Außerdem  wurde eine Atmosphäre  für wirtschaftliches Wachstum geschaffen, ein sicherer Hafen für Binnenflüchtlinge und ein Angebot von Arbeitsplätzen für junge Leute. Leider sind U.S. Drohnenattacken immer noch eine Quelle für Angst und in den Augen der ländlichen Bevölkerung eine willkürliche und nicht gerechtfertigte Ausübung tödlicher Gewalt. Trotz aller Erfolge der Provinz kommt es immer noch zu Überfällen von U.S. Spezialeinheiten.

Andere Städte haben begonnen, den Erfolg des Marib Model zu kopieren. Die Schaffung eines Netzwerkes sicherer Hafen wird als Möglichkeit gesehen, den Menschen, die in dem kriegsgeplagten Land Gewalt ausgesetzt sind, Sicherheit zu bieten. Dies wäre aber nur mit internationaler Unterstützung möglich. Interventionen seitens der internationalen Gemeinschaft werden pausenlos geplant und durchgeführt, ohne lokale Initiativen zu berücksichtigen und betroffene Gemeinden zu konsultieren, die fast ausnahmslos eigene Lösungen aufgrund lokaler Erfahrung konzipieren, die oft dauerhaft und nachhaltig gestaltet sind, in internationalen Gutachten aber fehlen.

 Würden internationale Aktivitäten lokale Erfahrung berücksichtigen, in lokale Gemeinden investieren  und mit diesen zusammenarbeiten, könnte die Vielzahl der Faktoren, die zu Gewalt und Extremismus führen, dynamisch in Angriff genommen werden. Die seitens der internationalen Gemeinschaft erforderliche Unterstützung einer Führungsstruktur, die nachhaltige Arbeitsplätze bietet, in Infrastruktur investiert und Rechenschaftspflicht verbindlich, könnte das Durchhaltevermögen von Gemeinden stärken, die Faktoren, die zu Gewaltbereitschaft führen, mildern, und zu Frieden beitragen.   


[1] Al Qaida Terrororganisation auf der arab. Halbinsel

[2] IDPS( internally displaced people)

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