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Die militärische Lage im Jemen ist seit einigen Wochen relativ unverändert. Die Houthi-Saleh-Kräfte sind in jenen Provinzen präsent, welche ungefähr den ehemaligen Nordjemen umfassen, allerdings ohne die Provinz Marib, die umkämpft ist. Hingegen reicht der Houthi-Bereich in den Provinzen alBeidha, Schabwah und alDhale etwas über die Grenzen des früheren Nordjemen hinaus.

Sana´a und die Nordprovinzen werden fast täglich von Bombenfliegern der saudischen Allianz heimgesucht und Taizz ist nach wie vor blutig umkämpft, jedoch konnten inzwischen Hilfsgüter in die belagerte Stadt geschafft werden. In der Hauptstadt Sana´a und in den Provinzen Dhamar, Ibb, Rhaima, Hodeida, Manacha ist die Lage relativ ruhig und wird von den Houthis kontrolliert. Allerdings sind die Hauptstadt und weite Gebiete seit Monaten ohne Strom. Die Wirtschaft lahmt. In den Ministerien und Ämtern in Sana´a ist der Betrieb aufrecht, wobei zum Großteil die alte, noch unter Saleh eingesetzte Belegschaft agiert. Die Houthis haben hier wenig Einfluss genommen, sind hingegen dominant im militärischen und Sicherheitsbereich. Die meisten Schulen und Universitäten arbeiten wieder, jedoch viele in Notunterkünften und Ruinen, weil zahlreiche Schulgebäude beschädigt oder zerstört wurden.

Die Zahlen der zivilen Toten und Verletzten, der von Hungersnot Bedrohten und der Vertriebenen steigt nach wie vor und der gesamte westliche Jemen ist von akuter Not bedroht. Insbesondere Kinder leiden unter Unterernährung und Krankheiten.

In Hodeidah herrscht inzwischen reger Hafenbetrieb von Hilfsgütern und kommerziellen Warenlieferungen. Kürzlich forderte Saudiarabien, dass alle Schiffe den Hafen verlassen sollten, denn im Zuge der Seemanöver mit verbündeten sunnitischen Ländern wolle man im Hafenbereich Hodeidah Übungen halten – was von den dort regierenden Houthi-Saleh wohl als Vorwand erkannt wurde, den Hafen einzunehmen.

Die Lage im Südjemen ist vollkommen unklar, vor allem ist nicht nachvollziehbar, welche Kräfte welche Ziele verfolgen.

Die Provinzen Hadramaut und Mahra, die ungefähr die Hälfte des gesamten jemenitischen Territoriums bedecken, waren bisher nicht in den Krieg zwischen Saudiarabien und Houthi-Saleh involviert, auch die sogenannte legitime Regierung Hadi ist dort nicht präsent, sondern fast die gesamte Region wird von alQaida kontrolliert, die sich mit Teilen der lokalen Behörden akkordiert hat. Die Provinzen Marib und alJauf sind nach wie vor hart umkämpft mit Vor- und Rückschritten auf beiden Seiten.

Die zurückgekehrte Exil-Regierung hat – obwohl Hadi kürzlich in Riadh behauptete, dass „der Jemen zu 85% befreit sei“, keinerlei Kontrolle über Schabwah, alDhale, Lahij und Abyan, ja nicht einmal über die „provisorische“ Hauptstadt Aden.

In Aden wird die Lage täglich unerträglicher, weil unsicherer und chaotischer. Am 5.3. überfiel ein Mordkommando in einem neuen, von den VAE finanzierten jemenitischen Polizeiauto ein Altenheim, das vom Orden der Mutter Theresa geführt wird. Die vier bewaffneten Täter drangen in das Hospiz ein und fesselten und ermordeten 14 Personen, darunter ausländische Nonnen, Mitarbeiter und greise Insassen. Die Täter entkamen unerkannt. Es ist dieses „die Täter entkamen unerkannt“, das die Adaner seit Monaten zur Verzweiflung bringt. Es vergeht kein Tag ohne Gewaltverbrechen, meistens werden Beamte der Sicherheitspolizei von vorbeifahrenden Mopeds erschossen, es wurde kürzlich aber auch ein salafistischer Geistlicher und ein Richter ermordet. Autobomben explodieren auf einem Markt, Sprengstoffanschläge zerstören Polizeistationen.

Der Mordanschlag auf das Hospiz löste wütende Proteste in der Adaner Bevölkerung, in ganz Jemen und international aus. AlQaida und Daash beeilten sich in Erklärungen in den social media, sich von dem Anschlag zu distanzieren. Viele Fragen der Adani warten auf Antwort:

Wer hat ein Interesse, in Aden Chaos und Gewalt zu verbreiten, wenn nicht alQaida und Daash? Warum ist die Regierung nicht in der Lage, die Täter zu fassen? Warum ist sie nicht in der Lage, Sicherheit herzustellen? Warum wird der Plan, aus den Widerstandskämpfern eine lokale öffentliche Sicherheitstruppe aufzubauen, obstruiert? Wird mit der Destabilisierung eine Verhinderung oder eine Förderung der Sezession des Südens bezweckt? Was wollen die Besatzer – in erster Linie – die Emirate?

Die Distanzierung von alQaida und Daash gab erneut Gerüchten Auftrieb, die von der Hadi-Fraktion und von Islah forciert werden, dass der frühere Präsident Saleh hinter den Umtrieben stecke, weil er jede Stabilisierung der Regierung Hadi im Süden verhindern wolle. Solche Gerüchte stärken aber in erster Linie Saleh selbst, weil er so als großer Zampano und Kommandant einer Armada von Gewalttätern stilisiert wird und bei den Südjemeniten, die fast 20 Jahre der Angst unter dem Regierungsterror erlebt haben, diese Ängste reaktiviert.

Saleh hat auf diese Weise und durch kürzliche Fernsehreden wieder eine Stärkung seiner Position bewirken können und die restaurative Umkehrung der revolutionären Ambitionen der Jemeniten nach Freiheit und Demokratie erneut gedämpft. Ein weiterer alter Machthaber kehrt in den jemenitischen Machtkampf zurück:

Ali Mohsen alAhmar wurde im Exil in Riadh von Hadi zu seinem Stellvertreter, also zum stellvertretenden Oberkommandierenden des Heeres ernannt. Dies verändert die Konstellation der alten politischen Drahtzieher und das alte Machtkarussel dreht sich wieder.

Kurze Rekapitulation: Ali Mohsen alAhmar  (70) war engster Vertrauter von Ali Abdullah Saleh und wurde von ihm mit zahlreichen Pfründen, viele davon enteignete Latifundien im Südjemen, honoriert. Eine Rivalität entstand, als Saleh um 2005 begann, seinen Sohn Ahmed für seine Nachfolge aufzubauen. Saleh machte alAhmar zum (glücklosen) Feldherrn der 6 Houthikriege. Im letzten Houthikrieg 2009 wurde das Hauptquartier alAhmars – irrtümlich? – von saudischen Fliegerbomben getroffen, alAhmar blieb jedoch unverletzt. Als 2011 die Revolution ausbrach, schlug sich alAhmar auf die Seite der Revolutionäre  und verlangte Salehs Rücktritt. Er war damals Oberkommandierender der sogenannten Fyrga, einer zahlenmäßig sehr großen, ihm ergebenen Armee-Einheit, die jedoch wesentlich schlechter ausgebildet und ausgerüstet war als Salehs Republikanische Garde und die Sicherheitszentrale. Ali Mohsen alAhmar hat zudem enge Verbindungen zu einem Teil der alQaida im Jemen. Als die Houthis am 21.September 2014 in Sana´a einmarschierten, wurde er von der Kooperation von Saleh und Houthis vollkommen überrascht und musste nach Riadh ins Exil flüchten, wo er angeblich die saudische Heeresführung beim Luftkampf gegen die Houthis und beim Einmarsch der Bodentruppen beriet. Offensichtlich hat man von Seiten der Saudis die Stärke und den Kampfgeist von pro-Hadi-Kämpfern überschätzt, aber auch alAhmar gelang es bisher nicht, starke Stämme für die Sache der Saudis zu motivieren. Allerdings hat Ali Mohsen selbst persönliches Interesse an einer öffentlichen Machtposition im Jemen, schon um seine nicht immer legal erworbenen großen Besitztümer einzufordern.

Während im Jemen der ursprünglich revolutionäre Konflikt zunehmend zu einem Machtkampf erstarrt, üben die internationalen Stakeholder im Wege der UNO Druck in Richtung Waffenstillstand aus – schon um Flüchtlingswellen aus dem Jemen zu verhindern. Im UNO-Sicherheitsrat ist man inzwischen offensichtlich zur Erkenntnis gelangt, dass die Resolution 2216 kontraproduktiv in Hinsicht auf Waffenstillstand und Friedensverhandlungen war, weil sie Saudiarabien bevorteilte und dem Land die uneingeschränkte Bombardierung des Jemen einräumte. Eine neue Resolution auf humanitärer Basis, die sogleich von Saudiarabien beeinsprucht wurde, soll einen Weg in Richtung Frieden anbahnen. Für die Jemeniten ist dies gar keine gute Nachricht, weil sich als Verfasser für den Entwurf einer solchen Resolution Großbritannien einbrachte, das den Bombenkrieg gegen den Jemen bisher massiv unterstützte.

Neueste Nachrichten:

Nach einwöchigen geheimen Vorgesprächen ist eine  Delegation der Houthis zu Verhandlungen in Saudi Arabien eingetroffen. Gleichzeitig wurden die Kampfhandlungen zwischen den beiden Kriegsgegnern gedämpft. Die Exilregierung von Präsident Hadi, der derzeit in Indonesien weilt, ist ebenso wenig vertreten wie Expräsident Saleh und der Moutamar. Gleichzeitig ließ der iranische Brigadegeneral Massud Jazayiri verlauten, man werde den Jemen mit gleichem „advisory support“ unterstützen wie zuvor die syrische Regierung. Verhandlungsleiter der Houthis ist Mohamed Abdulsalam, der schon die Houthi-Delegation in Genf I und II geführt hat.

mohammed_abdulsalam

Mohamed Abdulsalam, Urgestein und Sprecher der Houthis, verhandelt derzeit in Saudi Arabien Waffenstillstand, Grenzkonflikt und Friedensbedingungen mit Saudi Arabien.

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