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Seit fünf Tagen verhandeln in einem kleinen Dorf bei Biel die jemenitischen Streitparteien, um nach neun Monaten zu einer Beendigung der bewaffneten Auseinandersetzungen und zu einem Friedensschluss zu kommen.

Die Verhandlungen sollten mit einem sieben Tage dauernden Waffenstillstand beginnen. Jedoch wurde der Waffenstillstand nicht nur um 12 Stunden verschoben, sondern auch sofort gebrochen. Seitdem schieben sich die drei Verhandlungspartner gegenseitig die Schuld am Bruch des Waffenstillstandsabkommens zu und in den Medien dominiert die Kriegspropaganda.

Tatsache ist jedoch, dass gar nicht alle Parteien, welche an den kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligt sind, am Verhandlungstisch sitzen. An diesem sitzen:

  • acht Delegierte der Exilregierung von Abdrubba Mansur Hadi unter dem Vorsitz des erst frisch angelobten Außenministers Abdelmalik alMiklafi, sowie vier Berater;
  • die zweite Fraktion bilden vier Delegierte des Allgemeinen Volkskongress (Moutamar) unter dem Vorsitz von Arif Azuka, welche die Interessen des Expräsidenten Ali Abdullah Saleh vertreten, sowie zwei Berater;
  • die dritte Fraktion bilden die Houthis/Ansarallah mit 4 Delegierten unter der Leitung des Houthi-Sprechers Mohamed Abdul Salam, auch mit zwei Beratern.

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Am 15. Dezember begannen nach mehrmaligen Verzögerungen in einem abgelegenen Ort in der Nähe von Biel die Verhandlungen zwischen jemenitischen Parteien, welche den Krieg dauerhaft beenden sollen. 24 Delegierte vertreten drei Fraktionen des Konflikts.

Insgesamt sitzen am Verhandlungstisch – abgesehen von den Houthis – vor allem solche politischen Vertreter, die schon im letzten Dezennium politische Funktionen eingenommen und das politische Geschehen mitbestimmt haben. Auf Aufforderung der UNO sind auch zwei Frauen unter den 24 Anwesenden.

Nicht am Verhandlungstisch sitzen:

  • Vertreter des Südens, insbesondere solche, welche nach einer Abspaltung des Südens streben;
  • Vertreter des bewaffneten Widerstands, welche das Vordringen der Houthis bekämpfen, aber nicht die Wiedereinsetzung von Exilpräsident Hadi anstreben;
  • Vertreter der Jugend, welche die Revolution von 2011 getragen haben, aber durch die Kriegsereignisse marginalisiert wurden;
  • Vertreter der Muslimbrüder und der Islah-Partei, welche sowohl von den Houthis im Norden wie von den Emiraten im Süden verfolgt werden;
  • Vertreter der Stämme, welche nicht die Houthis unterstützen, aber keine Besatzungsmächte auf ihrem Territorium dulden wollen;
  • Vertreter der Zivilbevölkerung, insbesondere der Frauen und der Kinder, welche unter den Kriegshandlungen und den Blockaden am meisten leiden;
  • nicht am Verhandlungstisch sitzen außerdem die nicht-jemenitischen Krieg führenden Parteien: die Vertreter der sogenannten Koalition, welche den Jemen seit 26. März bombardieren, das sind in erster Linie Saudiarabien, die Emirate, Qatar, Bahrein, Kuweit, die USA, Großbritannien, Jordanien, Marokko und der Sudan, sowie Bodentruppen aus den Emiraten und Saudiarabien  mit Söldnertruppen aus Sudan, Eritrea und gemischten, hauptsächlich aus Südamerikanern zusammengesetzten Privatarmeen unter dem Befehl der Emirate und Saudiarabiens.

Die Verhandlungen finden unter dem Vorsitz des Sondergesandten der UNO, Ismail Ould Scheich Ahmed statt, der die Sitzungen unter einem straff geführten Reglement führt. Zum Reglement gehört auch die Verpflichtung der Teilnehmer, über den Verlauf der Gespräche Stillschweigen zu bewahren und nur den Verhandlungsführer zu Pressemitteilungen zu ermächtigen.

Obwohl dieses Reglement und die Abgeschiedenheit des Verhandlungsortes ein „unter sich sein“ der jemenitischen Parteien favorisiert, intervenieren die Golfstaaten, aber auch die „internationale Gemeinschaft“ und andere Interessierte und üben permanenten und nachhaltigen Druck auf die Verhandler aus.

Der wohl stärkste Druck zielt dahin, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden, damit Hilfslieferungen ins Land können und die dringendsten Bedürfnisse der Jemeniten befriedigt werden – mit dem Ziel, größere Flüchtlingswellen aus dem Land zu verhindern. Bisher sind 170.000 Jemeniten vor allem ins benachbarte Afrika geflüchtet. Am liebsten würde die internationale Gemeinschaft die Jemeniten solange am Verhandlungstisch „einsperren“, bis eine Friedenslösung gefunden ist. Dieser Friedenslösung stehen aber nicht nur innerjemenitische Konflikte und Spannungen, sondern auch die Interessen der Golfnachbarn entgegen.

Im Zuge der Unterjochung des Jemen durch Saudiarabien und die Emirate haben sich deren Interessen und Ziele im Jemen massiv auseinanderentwickelt, was wiederum die Regentschaft von Exilpräsident Hadi im Süden, der es ja beiden „Patronen“ recht machen sollte,  immer unmöglicher macht.

Der Konflikt zwischen den Emiraten und Saudiarabien eskaliert einerseits an der Islah-Partei und den Muslimbrüdern, welche von Saudiarabien als Unterstützer Hadis eingebunden, von den Emiraten aber als Terroristen verfolgt werden. Der zweite Konfliktherd sind Ali Abdullah Saleh und sein Sohn Ahmed Ali Saleh, der unbehelligt in den Emiraten lebt. Saudiarabien sieht in den Salehs Verräter und will sie weiterhin sanktionieren und aus dem Machtgefüge des Jemen für immer entfernen, während die Emirate mit einer  Einsetzung Ahmed Salehs in höhere Weihen spekulieren.

Auch über ihre territorialen Ziele im Jemen sind sich die Emirate und Saudiarabien uneinig.

Immerhin konnten bisher zwei wichtige Aufgaben für die Verhandlungen zumindest teilweise bewältigt werden. Dies ist zum ersten ein Gefangenenaustausch: In Lahij wurden 300 gefangene Houthis einvernehmlich gegen 265 von den Houthis gefangen genommene Vertreter der „Scharia“ (Legitimität), wie sich die Fraktion von Abdrubba Mansur Hadi nennt, übergeben. Die Houthis haben jedoch nicht die wichtigsten zwei Geiseln, den Verteidigungsminister Subeihi und den Bruder von Abdrubba Mansur Hadi, den Geheimdienstchef von Aden, Abyan und Lahij, Nasser Hadi aus der Geiselhaft entlassen.

Zum Zweiten konnte erreicht werden, dass eine lange Kette von mit Hilfsgütern beladenen Lastwagen in die seit Monaten von der Außenwelt abgeschlossene Stadt Taizz einfuhr. Vorausgegangen war die Abreise von Hamud alMiklafi, dem salafistischen Kommandanten des Widerstands gegen die Houthis nach Aden. Erst als Mikhlafi in Aden im Fernsehen gezeigt wurde, erhielten die Hilfslieferungen freie Fahrt nach Taizz.

Fast unlösbar erscheint die Lösung der territorialen Machtansprüche. Die militärische Lage wurde am 9. Dezember auf der Jemenkarte wie folgt dargestellt:

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Die territorialen Verhältnisse verlaufen derzeit ähnlich wie die Nord-Südgrenzen von 1990, jedoch sind die Provinzen Taizz, Ibb, Dale, alBeidha, Marib und alJauf teilweise unter Kontrolle der Emirate und teilweise unter saudischer Kontrolle, während die Houthis inzwischen unangefochten weite Teil des früheren Nordjemen kontrollieren und – nicht auf dieser Karte eingezeichnet – weit in die saudischen Provinzen Jizan, Asir und Najran eingedrungen sind. Die Truppen der Koalition kämpfen um einen Küstenstreifen am Bab alMandab und haben die Einnahme von Taizz noch nicht aufgegeben. Weiteres Ziel sind die Ölgebiete in Marib und alJauf. Saudiarabien geht es in erster Linie darum, die jemenitischen Öl- und Gasvorkommen zu kontrollieren, während die Emirate nach Einflusszonen am Roten Meer und an der Südküste streben. Von der „Internationalen Gemeinschaft“ wird  allen Anzeichen nach derzeit eine Teilung des Landes favorisiert, wobei sich die Grenzen gegenüber 1990 etwas verschieben könnten.

Die Gespräche wurden am 19. Dezember unterbrochen. Es wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, welche  bis Mitte Januar 2016 einen Mechanismus für den Waffenstillstand erarbeiten soll.

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